Vom 31.07. bis 10.08.2003 fand in Köln unter dem Motto ›Out of Control – Für globale Bewegungsfreiheit! Rassistische Verwertungslogik angreifen!‹ das diesjährige antirassistische Grenzcamp statt. Kurz vor dem regulären Ende des Camps wurde dieses von der Polizei durch einen der größten Polizeieinsätze der letzten Jahre in Deutschland geräumt und es wurden knapp vierhundert Personen in Gewahrsam genommen.
Das Grenzcamp als Aktionsform gibt es in Deutschland seit sechs Jahren. Auch in anderen europäischen Ländern fanden in den letzten Jahren Grenzcamps statt. Organisiert werden sie von Leuten aus dem linken/antirassistischen Spektrum und von Flüchtlingsinitiativen. Auf einem Grenzcamp treffen sich zum Teil über tausend Menschen, die sowohl den rassistischen Normalzustand im Allgemeinen als auch die europäische Einwanderungs- und Abschiebepolitik im Speziellen bekämpfen und dem etwas entgegen setzen wollen. Ziel ist die Öffentlichmachung gesellschaftspolitischer Themen wie Asylpolitik, Rassismus, Grenzabschottung, Bewegungsfreiheit und vielem anderen mehr. Entsprechend findet bei den Camps im Rahmen von Vorträgen, Diskussionsveranstaltungen und Workshops immer auch eine intensive Auseinandersetzung über Inhalte und Methoden der antirassistischen Aktionen und Aktionsmöglichkeiten statt. Gleichzeitig sollen sowohl Informationen vermittelt werden als auch Aufmerksamkeit auf diese Themen, z.B. in der bürgerlichen Presse, gelenkt werden. Daneben geht es um Vernetzung, Austausch und v.a. gemeinsame Aktionen.
Erstmals im Sommer 1998 hatten AktivistInnen von ›kein mensch ist illegal‹ sowie antifaschistische Gruppen in Ostsachsen zu einem solchen Aktionscamp an der deutsch-polnischen Grenze in der Nähe von Görlitz aufgerufen. Mehrere hundert Menschen beteiligten sich an Aktionen gegen ein Grenzregime, in dem sich hochtechnisierter Bundesgrenzschutz und die Denunziationsbereitschaft großer Teile der Bevölkerung in einer bisweilen tödlichen Menschenjagd auf die so genannten illegalen EinwanderInnen kombinieren. 1999 wurde ein Folgeprojekt in Zittau im Dreiländereck zwischen Polen, Deutschland und Tschechien organisiert, 2000 dann ein drittes Camp in Forst bei Cottbus. In den letzten Jahren wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass zwar durch das Schengener Abkommen offiziell die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen in Europa weggefallen sind, Ausgrenzung und Kontrolle aber überall und nicht nur an den Außengrenzen stattfinden – ein Trend, der sich in den letzten Jahren rapide verschärft hat. So fand 2001 das Grenzcamp in Frankfurt am Main statt, 2002 gab es ein bundesweites Camp in Jena. Die Beteiligung an den Camps hat von Jahr zu Jahr zugenommen. Das sechste Grenzcamp fand in diesem Jahr in Köln statt.
In Köln befinden sich einige besonders hässliche Seiten des deutschen Migrationsregimes, die im Laufe des Camps auf unterschiedliche Art und Weise herausgestellt wurden. So gab es Demonstrationen gegen das in Köln ansässige Ausländerzentralregister (AZR), in dem die persönlichen Daten aller in Deutschland lebenden MigrantInnen gespeichert sind, und die International Organisation for Migration (IOM) im nahe gelegenen Bad Godesberg. Die IOM ist eine international tätige Organisation, die Rückführungen von Flüchtlingen in ihre Herkunftsländer organisiert oder durch Vor-Ort-Maßnahmen zu verhindern sucht, dass Flüchtlinge in größerer Anzahl in die Industrieländer gelangen.
Auch den Themenkomplexen ›deutsche Flüchtlingspolitik‹ und ›Abschiebungen‹ wurden vielfältige Aktionen gewidmet, angefangen bei den ›Flüchtlingsschiffen‹, wo die Stadt Köln Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen auf ausgemusterten Schiffen auf dem Rhein untergebracht hat, über Abschiebeknäste bis hin zu Aktionen am Flughafen Düsseldorf gegen Abschiebungen, wie sie z.B. von LTU durchgeführt werden.
Doch auch weniger bekannte oder offensichtliche Verwicklungen in das Geschäft mit Abschiebungen wurden öffentlich gemacht, so gab es u.a. Aktionen gegen Ikea und ein Hotel der Kette Accor. Ikea lässt Häftlinge in der Abschiebehaftanstalt Büren für einen Hungerlohn von 2 € pro Stunde, von dem etwa die Hälfte noch von den Behörden einbehalten wird, Schrauben sortieren, während Accor als Betreiber des Chipkarten- und Gutscheinsystems direkt an den miserablen Lebensbedingungen von Asylsuchenden profitiert.
Am Samstag, einen Tag vor dem offiziellen Ende des Camps, war von Neonazis eine Demonstration gegen das Grenzcamp im Stadtteil Köln-Poll angemeldet worden. Dies nahm die Polizei zum Anlass, das gesamte Camp ab 11 Uhr abzusperren und die TeilnehmerInnen dort festzusetzen. Dabei kam es wiederholt zu Einsätzen von Schlagstöcken und Pfefferspray, wodurch ca. 40 Personen verletzt wurden. Zwar hatte die Polizei während des gesamten Camps massiv Präsenz gezeigt und das Camp rund um die Uhr beobachtet, doch zu direkten Angriffen war es bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekommen.
Gegen 17.30 Uhr wurden alle auf dem Camp befindlichen Personen von der Polizei aufgefordert, das Camp zu verlassen und erkennungsdienstliche Maßnahmen über sich ergehen zu lassen. Gleichzeitig wurden die Wasser- und die Stromversorgung des Camps gekappt, ein aus medizinischen und humanitären Gründen skandalöser Vorgang angesichts der über 35°C, die zu diesem Zeitpunkt herrschten. Erst nach wiederholter Aufforderung durch den anwesenden Notarzt wurde die Wasserversorgung gut zwei Stunden später wiederhergestellt. Etwa zehn Personen erlitten Kreislaufzusammenbrüche und mussten ärztlich versorgt werden.
Trotzdem blieben etwa 400 Personen auf dem Gelände, einige, darunter alle Kinder, verließen das Camp. Die Verbliebenen wurden dann von der Polizei eingekesselt und ab ca. 22.30 Uhr einzeln abgeführt und in die Gefangenensammelstelle Brühl gebracht, was sich bis in die frühen Morgenstunden hinzog. Das gesamte Camp wurde von der Polizei, die mit mehreren Hundertschaften, zwei Wasserwerfern und einem Räumpanzer auf dem Camp aufgefahren war, durchsucht. Im Laufe des Morgens wurden alle Gefangenen wieder frei gelassen, einige, v.a. aus anderen europäischen Ländern, nur gegen die Zahlung von Kautionen.
In über dreißig Städten kam es in den folgenden Tagen zu Protestaktionen gegen die Räumung.
Mittlerweile haben bundesweit viele Leute Post von der Polizei bekommen, in der ihnen Straftaten im Zusammenhang mit dem Grenzcamp vorgeworfen werden. Dabei scheint es sich aber vor allem um einen generellen Einschüchterungsversuch zu handeln, was u.a. daran ablesbar ist, dass allen das Gleiche vorgeworfen wird und dass selbst Menschen, die gar nicht auf dem Camp waren, sondern deren Personalien lediglich im Zusammenhang mit der Nazidemo kontrolliert wurden, solche Post bekommen haben.
Zwar ist nicht davon auszugehen, dass der Polizeieinsatz von langer Hand geplant war (z.T. wurden PolizistInnen spontan nach einem Fußballspiel in Köln abkommandiert), doch ist die Räumung des Camps Ausdruck einer härteren Politik gegenüber antirassistischen Aktivitäten, die jedoch nur Abbild einer immer weiter verschärften Flüchtlings- und Ausländerpolitik im Allgemeinen ist.
(bl)