Die allgemein als ›Zuwanderungsgesetz‹ bezeichnete Gesetzesnovelle heißt offiziell Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthaltes und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern. Sie ist bereits zweimal im Gesetzgebungsverfahren durchgefallen und befindet sich seit dem 2. Juli 2003 im Vermittlungsausschuss. Wortlaut der Änderungen und Datum des Inkrafttretens sind deshalb ungewiss. Klar ist nur eines: Die Wirtschaft braucht und will das Gesetz, folglich wird es kommen. Die Leidtragenden werden Flüchtlinge und MigrantInnen sein. Verständlicherweise wird sich der geneigten Leserin die Frage stellen, was denn dann bitte schön zum jetzigen Zeitpunkt der Sinn eines Artikels über das Zuwanderungsgesetz ist. Er soll in der verbleibenden Zeit bis zur endgültigen Erlassung des Gesetzes zur Aufklärung über die Situation von Flüchtlingen und MigrantInnen wenigstens etwas beitragen.
Die Bundesregierung konzipierte ihren Gesetzesentwurf vor dem Hintergrund »gesellschaftlich wachsender Konflikte um Zuwanderung«, der Ermangelung »von kollektiven Anstrengungen um die Integration« und des gestiegenen Bedarfs an qualifizierten Fach- und Führungskräften. Mit dem Gesetz soll erstmals eine effektive Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung ermöglicht werden. Der Aspekt der Begrenzung steht hier im Vordergrund. So wird klar gesagt, dass durch die Absenkung des Nachzugsalters auf zwölf Jahre und die Verpflichtung zum Nachweis von Deutschkenntnissen für Angehörige von SpätaussiedlerInnen mit einer deutlichen Senkung der Zuwanderungsraten gerechnet wird.
Bei dem Zuwanderungsgesetz handelt es sich um ein Artikelgesetz, d.h. es gibt keinen eigenen Fließtext. In den 14 Artikeln werden Änderungen in verschiedenen Gesetzen vorgenommen. Artikel 1 ersetzt das Ausländergesetz durch das Aufenthaltsgesetz und Artikel 2 regelt die Einreise von EU-BürgerInnen durch das neue EU-Freizügigkeitsgesetz. Die nachfolgenden Artikel ändern das Asylverfahrensgesetz, das Ausländerzentralregistergesetz, das Staatsangehörigkeitsgesetz, das Vertriebenengesetz und das Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet in einzelnen Bestimmungen. Es folgen Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes, einiger sozialrechtlicher Bestimmungen und sonstiger Gesetze.
Die Maxime, nach der das neue Gesetz geschrieben wurde, brachte Günther Beckstein mit dem Satz »Wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen, und weniger die uns ausnützen« auf den Punkt. Entsprechend wird nun auch grundsätzlich zwischen Asyl und Zuwanderung unterschieden. So wird der Wechsel von einem Verfahren nach dem Asylgesetz in ein solches nach dem Zuwanderungsgesetz (und umgekehrt) verhindert.
AsylbewerberInnen werden zukünftig noch mehr Steine in den Weg zur Anerkennung gelegt. Um die ökonomische Ausrichtung der deutschen Migrationskontrolle zu unterstreichen, werden im Folgenden zwei Beispiele gewählt. Das dritte Beispiel soll den rassistischen Charakter aufzeigen. (Hiermit soll nicht die Verschränkung von Unterdrückungsverhältnissen bestritten werden; es soll lediglich die Hauptstoßrichtung der jeweiligen Pläne deutlich gemacht werden.)
Künftig sollen Nachfluchtgründe (z.B. exilpolitische Betätigung) eine Flüchtlingsanerkennung ausschließen. Die Betroffenen erhalten allenfalls – auch das scheint nicht gesichert – eine »Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung«, was zeitlich unbefristet Residenzpflicht, Sammellager, Arbeitsverbot und eingeschränkte Sozialhilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylBG) bedeutet.
Außerdem erhält das Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen die Möglichkeit, für sechs Monate keine Entscheidungen über Asylanträge von Menschen aus bestimmten Herkunftsländern zu treffen – die Frist kann sogar noch verlängert werden. Wer bei der Einreise jünger als 16 Jahre war oder hier geboren ist, bekommt im Falle der Ablehnung des Asylantrags der Eltern den Stempel »offensichtlich unbegründet« auf seinen eigenen Asylantrag gedrückt. Und selbst anerkannte Flüchtlinge müssen eine obligatorische Überprüfung (alle drei Jahre) durch das Bundesamt auf die Möglichkeit des Widerrufs bzw. der Rücknahme der Flüchtlingsanerkennung fürchten.
Während hoch qualifizierte MigrantInnen in Zukunft einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten werden und dann auch ohne Probleme – natürlich nur solange sie Arbeit haben – hier bleiben können, geht es den lediglich ›Geduldeten‹ richtig an den Kragen. Eine Duldung erhalten bisher alle Menschen, die ausreisepflichtig sind, aber aus rechtlichen oder humanitären Gründen vorübergehend nicht abgeschoben werden können. Die Gesetzesnovelle sieht die Erteilung spezieller Bescheinigungen vor. Mit diesen wird eine Abschiebung erleichtert und ein von der Arbeitsmarktlage abhängiges Arbeitsverbot ausgesprochen. Da die ›Bescheinigten‹ »vollziehbar ausreisepflichtig« sind, können sie nun nach § 61 in Ausreiseeinrichtungen gesperrt werden. Sie bleiben dort so lange, bis sie freiwillig ausreisen, untertauchen oder abgeschoben werden können, wenn sich irgendein Land bereit erklärt, sie aufzunehmen. Um dies zu erreichen, wird mit einer Ausweitung der Zwangsvorführungen in Botschaften von vermeintlichen Herkunftsländern zu rechnen sein. Der bayrische Innenminister Beckstein nennt die dort angewandten Methoden folgerichtig »rückkehrorientierte Beratung und Betreuung«. Dass es bei der Internierung um eine Kostenreduktion bei Sozialleistungen geht, beweist ein Bericht über einen Modellversuch in Rheinland- Pfalz, in welchem das Abtauchen in die Illegalität eben aus diesem Grund als positiv erachtet wird. Außerdem erfüllen Illegalisierte auf dem Arbeitsmarkt die Funktion von flexiblen und billigen Arbeitskräften für die untersten Segmente des Arbeitsmarktes.
Seit den angeblich alles verändernden Anschlägen vom 11.9.2001 ist es deutschen PolitikerInnen noch ernster mit der Integration von MigrantInnen Dass Integration auf deutsch Assimilation bedeutet, ist nicht neu. Neu ist nur die Intensität dieser Anforderung an MigrantInnen. Noch nie gab es Kurse, in denen »Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse« der BRD vermittelt werden sollten. Dies, das praktische Verbot exilpolitischer Aktivitäten durch § 129b [1] und die vorausgesetzten Deutschkenntnisse machen klar, dass die BRD nur noch angepasste MigrantInnen will.
Das Zuwanderungsgesetz muss rundum abgelehnt werden. Es stellt zwar einen Paradigmenwechsel vom Anwerbestopp 1973 zur Anerkennung des Status Deutschlands als Einwanderungsland dar, bleibt aber ein staatlicher Versuch, Migration zu lenken und MigrantInnen nach einem vorgegebenen Bild zu formen. Es hierarchisiert nach wie vor Menschen nach Pass und Aufenthaltsstatus. Zwar gibt es punktuelle Verbesserungen wie die Aufsplittung der 90 Arbeitstage für StudentInnen, aber im Großen und Ganzen ist es ein Rückschritt.
Einer radikalen Linken würde es gut anstehen, die ›Autonomie der Migration‹ – sprich: Migration als soziale Bewegung unabhängig von push- und pull-Faktoren – als Fakt anzuerkennen und deshalb jeden Versuch der Kontrolle und Steuerung eine Absage zu erteilen. Allerdings stellt sich die Frage nach Interventionsmöglichkeiten und Ansatzpunkten auch unabhängig vom Zuwanderungsgesetz. Der deutsche Imperativ der ›Hier geblieben!‹- Forderung von Pro Asyl hat zwar momentan die besten Karten für einen realpolitischen Erfolg, spaltet aber MigrantInnen in verschiedene Kategorien. Auf der Höhe der Zeit dagegen sind Kampagnen von kanak attak (Projekt ›Gesellschaft für Legalisierung‹ mit dem Motto ›Wir sind unter Euch!‹, im WWW unter www.rechtauflegalisierung.de) oder The Voice (The Voice macht seit Jahren auf die rassistische Residenzpflicht für AsylbewerberInnen aufmerksam und tritt für die restlose Streichung dieses Sondergesetzes ein.), die von den Betroffenen selbst formuliert werden, eine wirkliche Lebensverbesserung für viele Menschen zum Ziel haben und dabei das gesellschaftliche Ganze nicht aus den Augen verlieren.
(gti)
[1] Der im Zuge der Hysterie über den islamistischen Terrorismus erlassene Paragraf ermöglicht die Verfolgung von ExilantInnen als TerroristInnen, wenn sie Befreiungsbewegungen, die nicht legal agieren können, von hier aus unterstützen. So wird in Zukunft die Solidarität mit militanten Kämpfen z.B. im Iran zur Anklage nach § 129b führen, wenn die BRD ihre Interessen gefährdet sieht. Allerdings findet gerade der § 129b in der ›deutschen‹ Linken kaum Aufmerksamkeit. Verwunderlich ist dies in dieser Linken nicht: So stellten so genannte ›Antideutsche‹ Gedankenspiele über die Abschiebung vermeintlicher IslamistInnen an, und die Prozesse gegen kurdische GenossInnen nach § 129a finden seit Jahren kein Interesse. Die autonome Linke mobilisierte vor kurzem nach Magdeburg zu einer Demo gegen den § 129/§ 129a, erwähnte aber gerade mal im Nebensatz die Verfolgung von ExilantInnen. Eine Linke, die Internationalismus nach wie vor als eine ihrer Grundlagen begreift, muss hingegen die Möglichkeit zur politischen Betätigung von ExilantInnen mit allen Mitteln verteidigen.