Wer braucht schon die EU?

Kuba ohne europäische Unterstützung

Die deutschen Medien waren einigermaßen verwirrt, als Kubas Staatschef Fidel Castro Ende Juli in einer Rede die europäischen Staaten hart anging. Zwar konnten sie durch die Bank nicht richtig übersetzen, als Castro die EU davor warnte, die neuen Beitrittsstaaten seien trojanische Pferde der USA (die deutschen Medien schrieben hingegen: ›Castro bezeichnet EU als trojanisches Pferd‹), über die dann doch richtig verstandene Aussage, Kuba brauche die EU nicht, waren sie doch alle empört. Was war geschehen, dass das einige Jahre scheinbar ziemlich gelassene Verhältnis zwischen der EU und Kuba nun zerrüttet scheint?

Kuba in den neunziger Jahren

Kuba hat nach den Umwälzungen in den sozialistischen Staaten Osteuropas und Asiens schwer vorzustellende Schwierigkeiten durchstehen müssen. Während der Einbindung in den Comecon (den ›Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe‹ der sozialistischen Staaten) hatte Kuba die nationale Wirtschaft auf Zucker-Monokulturen ausgerichtet: Die Comeconstaaten bezogen ihren Zucker zu einem festen Preis und lieferten im Gegenzug Industrie- und Konsumgüter, z.B. Medikamente. 1990/1991 wurden diese Verträge aufgehoben, Kuba verlor seine Haupteinnahmequelle (während der 90er Jahre brach auch noch der Zuckerpreis auf dem Weltmarkt zusammen). Die Nichterfüllung der Verträge durch Deutschland (die DDR lieferte Chemieprodukte, Medikamente, Milchpulver) machte sich stark bemerkbar (Die BRD möchte zwar Rechtsnachfolgerin des ›Dritten Reiches‹ sein, auch das Staatsvermögen der DDR hat man gerne verscherbelt; jedoch die internationalen Verträge der DDR konnte man nicht anerkennen.) Mit gewaltigen inneren Anstrengungen, mit einer Abkehr von der Monokultur und Aufbau nationaler Produktionsbetriebe und mit einer Öffnung hin zum Kapitalismus überlebte das ›sozialistische Kuba‹ bis heute.

Zwischen USA...

Die USA haben es der kubanischen Revolution niemals verziehen, dass sie ihnen Obstplantagen, Casinos und Bordelle entrissen hat. Unzählige Attentatsversuche auf Fidel Castro, die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht, Handelsblockaden und Helms-Burton-Gesetz (in dem Blockade und das Ziel des Sturzes der sozialistischen Regierung festgeschrieben sind) zeugen von den vehementen Anstrengungen verschiedener US-Regierungen, das ›kubanische Problem‹ zu lösen. Während in den letzten Jahren der Clinton-Regierung eine vorsichtige Abmilderung anti-kubanischer Rhetorik und Aktionen seitens der Regierung zu verzeichnen war, verschärft sich der Ton unter Bush, der auch dank der rechten Exil-KubanerInnen regiert (sie wählten ihn zu 90 Prozent). Nach dem 11. September 2001 wurde Kuba auf die US-Liste der den Terror unterstützenden Staaten gesetzt, in den letzten Monaten wurden immer genauere Planungen zum militärischen Umsturz in Kuba bekannt. Da allerdings davon ausgegangen wird, dass ein angezettelter innerer Aufstand gegen Castro keinen Erfolg hätte, setzt die US-Administration nun anscheinend darauf, in einer unübersichtlichen Situation nach Castros Tod die Karten neu mischen zu können.

... und EU

Während der neunziger Jahre entwickelte sich die EG, später EU, immer mehr zu einem scheinbar wichtigen Handels- und Gesprächspartner des sozialistischen Kuba. Gemäß der friedlich klingenden – im Prinzip nur kapitalistischen Opportunismus kaschierenden – Parole ›Wandel durch Handel‹ versuchten die europäischen Staaten, die kubanische Regierung zu inneren ›Reformen‹ zu bringen, aber auch, europäischen Firmen einen Absatzmarkt zu erschließen, der den meisten US-Firmen wegen der Blockade-Politik verschlossen bleibt. Dabei gab es wellenartige Wechsel von Annäherung und Distanzierung, von der jedoch abseits der politisch-rhetorischen Ebene die Wirtschaftsbeziehungen kaum berührt wurden.

Zuletzt kam es in der Krise um die kubanischen ›Dissidenten‹ und die Todesurteile gegen Schiffs­entführer zu einer neuen Zuspitzung: Erstmals verhängte die EU diplomatische Sanktionen gegen Kuba, Entwicklungshilfe wurde eingefroren. Innerhalb Europas zählten die USA-Verbündeten Großbritannien, Spanien und Italien zu den schärfsten Kritikern Kubas. Gleichzeitig ist jedoch Spanien größter Handelspartner Kubas und muss vorsichtig auftreten – spätestens seit in Kuba Massendemonstrationen vor der spanischen und der italienischen Botschaft stattfanden. Die medienwirksamste Aktion der Bundesregierung bestand darin, die offizielle Teilnahme an der Buchmesse in Havanna Anfang 2004 (wo Deutschland Gastland sein wird) abzusagen.

Kuba und der Terror

Während an der Aussage, Kuba unterstütze den Terror, so wenig dran ist, dass die US-Regierung bis heute kein Indiz dafür vorlegen konnte, wird der Terrorismus, der gegen Kuba gerichtet ist, gar nicht thematisiert. Seit Jahren sieht sich Kuba einer Serie von Entführungen von Flugzeugen und Schiffen ausgesetzt. In der Regel zwingen die EntführerInnen die gekidnappten Maschinen in die USA. Für einen solchen Fall sieht das internationale Recht vor, dass die TäterInnen im Zielland oder im Ursprungsland der Entführung zu verurteilen sind. Die entführten Maschinen sind zurückzugeben. Nichts davon geschieht jedoch bei den hier erwähnten Entführungen. Die USA versprechen jenen, die durch eine gewaltsame Entführung in die USA kommen, das Aufenthaltsrecht – angesichts der Tatsache, dass gleichzeitig das Einreisekontingent für Kubaner­Innen weiter verkleinert wird, anscheinend ein lohnender Anreiz. Die Flugzeuge und Schiffe werden nicht an die kubanischen Luft- oder Schiffslinien zurück gegeben, sondern im Auftrag der USA verkauft. Die USA fördern so direkt Gewalttaten auf Kuba. Abgesehen vom materiellen Verlust durch die verschwundenen Flugzeuge und Schiffe erzeugen die Entführungen natürlich auch eine Gefahr für die Passagiere und weitere Personen – beispielsweise dadurch, dass sie Schiffe, die nur im Küstenbereich eingesetzt werden, auf das offene Meer zwingen. Welche westliche Regierung würde wohl tolerieren, dass aus ihren Häfen nach und nach Passagierschiffe entführt werden? Dass nun zum ersten Mal seit langer Zeit drei Todesurteile gegen Schiffsentführer vollstreckt wurden, sorgte für großen Protest – auch in der Kuba-Solidaritätsbewegung. Dabei wurden die Hinrichtungen jedoch häufig als Teil einer autoritären Regierungspraxis und als anti-oppositionelle Maßnahmen interpretiert. Kein Wort von Todesurteilen in den USA, die neben ihrer klaren rassistischen Komponente auch noch um ein Vielfaches häufiger gefällt und vollstreckt werden, kein Wort von Menschenrechtsverletzungen, beispielsweise Folter, in Ländern wie den USA oder Deutschland. Selbst ein prominenter Gegner der Todesstrafe, Mumia Abu-Jamal, kam zu dem Schluss: »Sie [die Todesstrafe] ist barbarisch und repressiv. Aber trotzdem liegen Welten zwischen der Art und Weise, wie die USA sie einsetzen – nämlich als legales Lynchen –, und wie Kuba sie jetzt im Kampf gegen den ökonomischen, politischen und medialen Terror der USA eingesetzt hat. Die USA nutzen die Todesstrafe zur Unterdrückung, Kuba nutzt sie zu seiner Verteidigung. Die USA wollen damit die Privilegien der Weißen schützen, Kuba versucht, die US-Aggression zu überleben.«

Der andere Auslöser für die scharfen Proteste der EU war die Verurteilung von 75 angeblichen ›Dissidenten‹. Den Beschuldigten, darunter einige JournalistInnen, die bei den US-finanzierten rechtsradikalen anticastristischen Sendern Radio und TV Martí (i.e. US Office of Cuba Broadcasting) in Florida sendeten, wurde vorgeworfen, an staatsfeindlichen Koordinationstreffen mit dem US-Diplomaten James Cason teilgenommen zu haben. Bei der Empörung über die Haftstrafen, zu denen alle Angeklagten verurteilt wurden, wurde selbstverständlich auf die inhaltlichen Vorwürfe genausowenig eingegangen wie auf die Verbindung zur US-Politik. Dass es angesichts von Entführungen, terroristischen Attentaten und Sabotageversuchen hier nicht nur um einen Fall von ›unterdrückter Meinungsfreiheit‹ geht, ging dabei vollkommen unter.

Angst vor Kuba?

Was jedoch die Regierungen von USA und EU-Staaten v.a. und zu Recht besorgt, ist die Bezugnahme der neuen linken populistischen Strömungen in Südamerika auf das sozialistische Kuba. Vor allem die Annäherung Venezuelas unter Hugo Chavez an Kuba (ergänzt durch eine fast schon Verehrung Castros durch Chavez) gefährdet den Anspruch der US-Regierung auf Kontrolle über ganz Latein- und Südamerika. Spätestens der Abschluss von Verträgen über Öllieferungen aus Venezuela nach Kuba sorgte in den USA für die Konstruktion einer angeblichen sozialistischen Achse Chavez–Castro, gelegentlich ergänzt um die revolutionäre kolumbianische Bewegung FARC. Um jeden Preis möchten die USA die Entstehung sozialistischer Staaten in der Region verhindern, der von den USA angeleitete Putschversuch gegen Chavez im Jahr 2001 wird nicht der letzte Versuch gewesen sein.

In der Organisation des US-Militärs jedenfalls wurde Kuba schon in den Zuständigkeitsbereich des wichtigen Kommandobereichs ›Nord‹ (statt bisher ›Karibik-Süd‹) verlegt, die militärischen Zwischenfälle (beispielsweise durch von Kampfflugzeugen ausgestrahlte Störsignale gegen das kubanische Fernsehen) häufen sich. Die demonstrative Unterstützung der US-amerikanischen Eskalationspolitik durch die EU erhält vor diesem Hintergrund eine noch größere Bedeutung.

Gefahren durch die anti-kubanische Einheit

Ähnlich wie 1996, als die europäischen Staaten mit dem Gemeinsamen Standpunkt zu Kuba sich inhaltlich dem kurz zuvor beschlossenen US-amerikanischen Helms-Burton-Gesetz anschlossen, findet momentan wieder eine Anpassung der europäischen Position an die (weiter verschärfte) Haltung der USA statt.

Die EU-Staaten scheinen also den Wunsch nach einem eigenen Weg im Umgang mit Kuba aufgegeben zu haben. Ohnehin bewegten sich die wirtschaftlichen Gewinne aus dem Handel mit Kuba nicht auf einem Niveau, das einen fortdauernden Konflikt mit dem wichtigsten Bündnispartner USA gerechtfertigt hätte. Allerdings scheint nun auch der Versuch, über Kuba einen Fuß in die lateinamerikanische Region setzen zu können und von hier aus weitere Handelsbeziehungen zu Lasten von US-Firmen ausbauen zu können, abgebrochen worden zu sein. Zumindest ist nun ein mögliches Hindernis für die weitere Erstarkung der europäischen Achse Paris–Berlin–Moskau aus dem Weg geräumt; egal, ob ›partners in leadership‹ oder inter­imperialistische Konkurrenz: An einem Nebenschauplatz wie Kuba möchte man keinen Konflikt riskieren. Der US-Administration signalisiert man: Weiter so.

Wer braucht schon die EU?

Castros oben erwähnte Rede hatte bezüglich der EU v.a. zwei wesentliche Inhalte: Einerseits kritisierte er die Abhängigkeit der EU von den USA und prognostizierte eine Zunahme des US-amerikanischen Einflusses auf die europäische Politik mittels der neuen Beitrittsstaaten, eben der ›trojanischen Pferde‹. Andererseits warf er den EU-Staaten vor, das Ausmaß ihrer Sanktionsmöglichkeiten zu überschätzen. Die Resolution der EU vom Juni führte er zurück auf »eine Person, deren faschistischer Werdegang bekannt ist: José María Aznar«. Die nun vorenthaltene EU-Hilfe habe in den letzten Jahren durchschnittlich 4,2 Millionen Dollar jährlich betragen. Angesichts von bisher 72 Milliarden Dollar Schaden durch die US-Blockade, von 2,5 Milliarden Dollar Schaden durch drei Hurrikans zwischen November 2001 und Oktober 2002 und angesichts verfallender Weltmarktpreise für die Hauptexportgüter Zucker und Nickel bei steigenden Preisen für z.B. das Hauptimportgut Erdöl seien diese Zahlungen der EU bedeutungslos. Die meisten der Projekte, die die EU angeblich bereit war zu unterstützen, erhielten keine Förderung: Obwohl beschlossen, wurde das Geld nie ausgezahlt.

Angesichts eines Imports von EU-Waren nach Kuba im Umfang von 7,5 Milliarden Dollar seit 1998 und einem EU-Import von kubanischen Waren im Umfang von nur 571 Millionen Dollar stellte Castro die Frage: »Wer hilft hier also wem?«.

In Zukunft werde Kuba keine Zahlungen mehr annehmen, die an Bedingungen geknüpft seien. Der Dialog mit der EU sei beendet, da diese beschlossen habe, Kuba anzugreifen. Die »Souveränität und Würde eines Volkes« werde jedoch »mit niemandem diskutiert, und noch viel weniger mit einer Gruppe ehemaliger Kolonialmächte, die historisch gesehen für den Sklavenhandel, die Plünderung und sogar die Vernichtung von ganzen Völkern verantwortlich ist, die Unterentwicklung und Armut erzeugt, in der mehrere Milliarden Menschen leben müssen, die mittels des ungleichen Autauschs weiter ausbeutet, die Naturschätze schleift, die ihren Opfern eine unbezahlbare Auslandsschuld aufzwingt und die Wissen stiehlt.«

Den gravierendsten Einfluss, den die EU-Staaten seit vielen Jahren auf Kuba nehmen, erwähnte Castro nur am Rande: Große Teile der horrenden Agrarsubventionen, die die EU auszahlt, dienen der Senkung des Zuckerpreises für weißen Zucker aus v.a. Rüben. So kommt es, dass dieser Zucker, der durch die nötige Raffinade in der Herstellung deutlich teurer ist als der z.B. auf Kuba produzierte Rohrzucker, auf dem Weltmarkt zu geringeren Preisen angeboten werden kann. Hierdurch schädigt die EU direkt die kubanische Wirtschaft, die sich zwar aus der Monokultur gelöst hat, nach wie vor jedoch hauptsächlich Zucker exportiert.

Solidarität mit Kuba!

Kuba ist schon lange kein Hort sozialistischer Glückseligkeit mehr. Immer mehr Kompromisse mussten geschlossen werden, und die Zulassung des US-Dollars, der rasch den Peso als Hauptzahlungsmittel verdrängte, sowie die Ausdehnung des Tourismus-Sektors haben fatale Auswirkungen gehabt. Gesellschaftliche Ungleichheiten nehmen zu, für die Aufrechterhaltung der staatlichen Tätigkeiten wichtige Berufe werden unattraktiv (beispielsweise Tätigkeiten im Bildungs- oder Gesundheitsapparat), weil sie in Peso bezahlt werden. Für Pesos gibt es aber kaum etwas: Lebensnotwendige Güter erhält man auf Berechtigungskarten, anderes fast nur gegen Dollar. Ob die Rechnung also aufgegangen ist, den Dollar zuzulassen, um Geld der ExilkubanerInnen, die zurückgebliebene Familienmitglieder unterstützen, in Umlauf zu bringen, ist fraglich. Auf der anderen Seite machen die kubanische Regierung, die kubanischen Massenorganisationen und ein Großteil der Bevölkerung bei vielen Gelegenheiten deutlich, dass jeder dieser Kompromisse unausweichlich, aber ungeliebt sei. Dabei geben sie ein ganz anderes Bild ab als beispielsweise die chinesische Regierung, die den Ausverkauf des Staatssozialismus als Fortschritt verkauft.

All jenen kritischen BeobachterInnen, die feststellen, dass es in Kuba nicht an jeder Straßenecke ein Pflaster oder eine Cola zu kaufen gibt, sei angeraten, die kubanische Situation einmal nicht mit der deutschen, sondern mit der in anderen lateinamerikanischen Staaten zu vergleichen. Nach wie vor besitzt Kuba ein deutlich besseres Bildungs- und Gesundheitssystem als alle anderen Staaten der Region – in vielen Bereichen, beispielsweise bei dem Grad der Alphabetisierung, liegt Kuba selbst vor den USA.

Diese Errungenschaften der kubanischen Revolution zu zerschlagen wäre das erste Ziel einer politischen oder militärischen Intervention der kapitalistischen Machtblöcke auf Kuba. Sehr deutlich steht in den Planspielen der US-Militär-StrategInnen, dass die Privatisierung (v.a. durch Rück­über­tragung an enteignete US- und exilkubanische Firmen) oberste Priorität genießen sollte.

Die kubanische Mischung aus Sozialismus und Marktwirtschaft bietet den Menschen immer noch deutlich bessere Lebensbedingungen, als ihnen bei einer Wiedereingliederung in den direkten kapitalistischen Einflussbereich als neue/alte Kolonie drohen. Aus diesem Grund muss Kuba gegen den US- und EU-Imperialismus verteidigt werden.

(zk)

(Die Zitate aus Castros Rede sind der deutschen auszugsweisen Übersetzung in der Kuba-Beilage der jungen welt vom 24.09.2003 entnommen.)

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