Informiert beten?

Weltgebetstag 2003 und der Antisemitismus

Am 7. März 2003 fand in den Kirchen in Marburg und anderswo der Weltgebetstag der Frauen (WGT) mit dem diesjährigen Schwerpunktland Libanon (jedes Jahr wird der WGT von Frauen aus einem anderen Land vorbereitet) statt. Das deutsche Komitee des WGT hat zur Vorbereitung und Durchführung Texte herausgegeben, die antisemitische und antiisraelische Aussagen in Informationen über den Libanon, Arbeitshilfen zur Gottesdienstgestaltung und den von libanesischen Christinnen verfassten Gebetstexten enthalten.

JüdInnen als„GottesmörderInnen“

Die Arbeitshilfen zum WGT enthalten unter der Überschrift „Verstrickungen der Religionen“ einen dialogischen Text für eine szenische Darstellung. Drei Frauen sollen darin jeweils das Jüd­Innentum, das ChristInnentum und den Islam repräsentieren. „J: Ich bin die älteste monotheistische Religion. Ich habe Recht, auf mich müsst Ihr hören! C: Du hast unseren Messias ermordet! I: Es gibt keinen Gott außer Allah – und Mohammed ist sein Prophet. J: Alle Eure Wurzeln sind bei mir! C: Ich bin der einzige richtige Glaube. I: Mit uns ist die Heilsgeschichte abgeschlossen.“ Der „Gottesmörder­In­nen-Vorwurf“ – also die Anklage an Jüdinnen und Juden, sie seien für den Tod von Jesus verantwortlich – wird hier in der zweiten Aussage von „C“ (ChristInnentum) ausgesprochen und neben den anderen Texten stehen gelassen. Ohne dass dieser Vorwurf als antisemitisch verworfen wird, ohne dass auf die christlichen antijudaistischen und antisemitischen Pogrome an Jüdinnen und Juden verwiesen und ohne dass der Vorwurf mit dem Antijudaismus und Antisemitismus der Kirchen im Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wird. Auch im Anschluss an die Szene ist durch die internen Arbeitshilfen des deutschen WGT-Kommitees keine Problematisierung der Aussagen vorgesehen.

Kein Existenzrecht für Israel

Die von libanesischen Frauen verfassten Gebetstexte enthalten fünf so genannte „Stimmen aus dem Libanon“, die jeweils die besondere Situation einer Frau thematisieren. Eine fiktiv zitierte Palästinenserin erzählt: „Ich bin Palästinenserin und lebe seit meiner Geburt in einem Flüchtlingslager im Libanon. 1948 mussten meine Eltern Palästina verlassen und suchten Schutz in diesem freundlichen Land. Ich bin den Menschen im Libanon dankbar für die Bereitschaft, uns aufzunehmen. Doch seit mehr als 50 Jahren fordern wir die Rückkehr in unsere rechtmäßige Heimat. Zu lange warten wir schon. Die Welt scheint uns vergessen zu haben.“ Die Forderung nach „Rückkehr in unsere rechtmäßige Heimat“ ist, wenn sie konsequent weitergedacht wird und für alle PalästinenserInnen gelten soll, eine Forderung nach der Nicht-Existenz des Staates Israel.

In ähnlichem Duktus sollen die Sätze aus den „Länder-Informationen“ „Die Libanesische Republik [...] grenzt [...] im Süden an Israel/Palästina.“ und „Wegen der israelischen Besetzung ihres Landes flohen in den 50er, 60er und 70er Jahren viele PalästinenserInnen in den Libanon.“ mit falschen Fakten und antiisraelischen Statements „informieren“.

Keine Antwort auf Kritik

Die von Frauen in der Bundesrepublik formulierten „Länder-Informationen“ sind zusammen mit den Gebetstexten vermutlich in so gut wie jedem WGT-Gottesdienst unkommentiert verteilt worden.

Die Organisatorinnen des WGT schienen weder in der Lage noch bereit zu sein, auf Kritik an den Texten in angemessener Weise zu reagieren. Sie zogen sich – inhaltliche Auseinandersetzungen oder Korrekturen des Textes abwehrend – auf eine Verteidigunsposition zurück, von der aus sie zum einen Antisemitismus in ihrem Sinne selbst definierten und zum anderen den Schaden bedauerten, den die erhobenen Vorwürfe der Weltgebetstagsbewegung zugefügt hätten.

So öffnet sich z.B. auf der Homepage des WGT ein pop-up-Window, indem folgendes klar gemacht werden soll: „Aufgrund der jüngsten Kritik an der diesjährigen Weltgebetstagsliturgie stellt das Deutsche Weltgebetstagskomitee erneut klar, dass die aktuelle Gottesdienstordnung keinerlei antisemitische Tendenzen aufweist. Auch werde das Existenzrecht des Staates Israel an keiner Stelle angefragt.“

Auf Anfrage durch die „haGalil online“-Redaktion beim Büro des WGT in Berlin konnte bis zum Datum des Weltgebetstag keine verantwortliche Frau gefunden werden, die bereit gewesen wäre, in einem Interview zu den kritisierten Textpassagen Stellung zu nehmen.

Die theologische Referentin des WGT hat ihre Reaktion auf die differenzierte Kritik eines Siegener Pfarrers als „persönliche Korrespondenz“ deklariert und dadurch die Veröffentlichung im Rahmen der Diskussionsdokumentation verhindert.

Nix Neues

Eine verantwortliche Pfarrerin in Marburg hat die Kritik empört zurückgewiesen, die Texte verteidigt und sich darum bemüht, jegliches Gegenargument zu disqualifizieren. So musste sich z.B. angehört werden, „wieder einmal nur Deutsche“ hätten mit der Liturgie „Probleme“. Das sei bei der Diskussion um den von palästinensischen Frauen gestalteten WGT 1994 genauso gewesen.

Nichts Neues? Stimmt. Aber es erschreckt doch immer wieder, wie ignorant und vehement KirchenvertreterInnen und ChristInnen sein können, wenn es darum geht, die eigene antijudaistische Tradition zu verteidigen.

(rm)

haGalil online dokumentiert die Diskussion um die Texte des WGT ausführlich unter http://www.hagalil.com/archiv/2003/wgt.htm. Die Homepage des WGT findet sich unter http://www.weltgebetstag.de.

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