Vor dem Hintergrund einer stark antisemitisch aufgeladenen Stimmung in der Bevölkerung fanden vor nunmehr 70 Jahren, am 10. Mai 1933, im Deutschen Reich in zahlreichen Universitätsstädten Verbrennungen inhaltlich nicht genehmer und/oder von Jüdinnen und Juden verfasster Literatur statt, unter anderem auch in Marburg. Es handelte sich bei diesen Taten nicht um spontane Aktionen des nationalsozialistischen Mobs, sondern sie wurden zentral vom Hauptamt für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft (DSt) koordiniert und vorbereitet. Die DSt bezeichnete sie als ihren Beitrag „zur nationalsozialistischen Kulturrevolution“. Ihr erklärtes Ziel war die „Erneuerung des deutschen Geistes durch Deutschlands geistige Elite“, die Studierenden.
Die Idee zu den Bücherverbrennungen kam zwar vom Berliner Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda – unterstützt durch den Kampfbund für Deutsche Kultur – die Durchführung wurde aber erst durch das eifrige Aufgreifen dieser Idee von studentischer Seite möglich gemacht. Die Initiative für die deutschlandweite Aktion ging von der Deutschen Studentenschaft aus, dem Dachverband der nach dem Führerprinzip organisierten Studierendenvertretungen an den deutschen Unis, die sich gerne als die „geistige SA“ bezeichnete. Einer der Schwerpunkte ihrer Arbeit war die systematische Säuberung der Unis von nicht-konformen Professoren und Dozenten.
Die DSt befand sich zu dieser Zeit in einem Konkurrenzkampf mit dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB – Hochschulorganisation der NSDAP). Zwar waren beide Gruppierungen nationalsozialistische Organisationen, mit starken personellen Überschneidungen bei Mitgliedern und Führungskadern, es herrschte aber Rivalität bezüglich der Zuständigkeit für die politische Bildung der Studierenden.
Die in der DSt organisierten Studierenden wollten sich durch die Organisation der Bücherverbrennungen profilieren und beweisen, dass sie die besseren Nazis seien, willens und fähig zur Mobilisierung für die Sache des Nationalsozialismus. Nachdem Initiierung und Vorbereitung der „Aktion wider den undeutschen Geist“ durch die DSt erfolgt waren, beanspruchte jedoch der NSDStB unter Verweis auf seine langjährigen Verdienste seit seiner Gründung im Jahr 1926 im Kampf gegen das Judentum die Führungsrolle in der Ausführung der eigentlichen Bücherverbrennung erfolgreich für sich.
1936 sollte der Streit zwischen den beiden konkurrierenden Organisationen dann bereits obsolet sein, denn dann erfolgte ihre Zusammenlegung in der Reichsstudentenführung.
Die auch als „Fleißaufgabe von Jungnazis“ bezeichnete Bücherverbrennung hatte nur einen vierwöchigen Vorlauf. Die kurzfristige Mobilisierung der Studierenden und die „erfolgreiche“ Durchführung der Aktion stellte aber trotzdem kein Problem dar, weil die Studierenden vom Sinn der Aktion nicht erst überzeugt werden mussten. Unter den Studierenden herrschte damals eine völkische, radikal antidemokratische und antisemitische Grundeinstellung vor. Sie waren die Hauptträger der nationalsozialistischen Ideologie. In uni-internen Wahlen wurden bereits vor 1933 nationalsozialistische Kader mit großen Mehrheiten gewählt. In Marburg erhielt der NSDStB z.B. bereits 1931 50% der Sitze bei der Studentenkammerwahl.
Der Aufruf zur Bücherverbrennung wurde in zwölf Thesen (siehe Kasten Seite 19) formuliert, die unter anderem an den Unis angeschlagen sowie auch über Presse und Rundfunk verbreitet wurden. Generell kam der nationalsozialistischen Hetzpresse ein großer Anteil an der Agitation in der nicht-studentischen Bevölkerung zu. In dem Aufruf wird spezifiziert, was die Initiatoren der Aktion unter „undeutschem Geist“ verstanden. Klar ist, dass sich in der Denke dieser Personen wahre „deutsche Volkszugehörigkeit“ auch durch gewisse politische, kulturelle und stilistische Vorlieben ausdrückt.
Unterstützung fanden sie beim Kultusministerium, das so genannte „Schwarze Listen“ mit „undeutscher“ Literatur veröffentlichte, die aus öffentlichen Büchereien und privaten Leihbüchereien zu entfernen waren. Kriterien für die Aufnahme der verschiedenen Texte auf die Listen waren deren jüdische oder auch homosexuelle AutorInnen und/oder deren „pazifistischer“, „marxistischer“, „sozialdemokratischer“, „gewerkschaftlicher“, „asphaltliterarischer“ oder schlicht „zersetzender“ Inhalt. Nicht alle so klassifizierten Schriften sollten vernichtet werden, einige sollten auch im „Giftschrank“ verschwinden und nur mehr zu Forschungszwecken dienen, nicht jedoch der Öffentlichkeit zugänglich sein.
Im nächsten Schritt erfolgte das Einsammeln der Bücher. Die – manchmal auch gewaltsamen – Buchsammelaktionen der DSt wurden teilweise von Polizei und Verwaltung unterstützt, teilweise, wie z.B. in Marburg, auch von Hitlerjugend und Korporationen. Die Abgabe der betreffenden Bücher erfolgte zunächst durch die teilnehmenden Studierenden selbst, diese sorgten aber auch in ihrem Bekanntenkreis für eine „Säuberung“ der privaten Buchbestände. Schließlich wurden auch private und öffentliche Leihbüchereien besucht und auch dort die einschlägige Literatur abgeholt.
Die eigentlichen, als symbolgeladene Rituale stilisierten Bücherverbrennungen liefen dann nach reichsweit einheitlichem Zeitplan und identischer Choreografie ab. Zunächst stellten sich die verschiedenen teilnehmenden Gruppen auf: SA, SS, Hitlerjugend, studentische Verbindungen, NSDStB und DSt, sowie die Rektoren, Professoren und Dozenten der einzelnen Unis. Dann erfolgte ein Fackelzug zum Ort der „Buchhinrichtung“. Untermalt durch „vaterländische Weisen“, Burschenlieder und Marschmusik von SA- und SS-Kapellen wurden die betreffenden Schriften (zumeist Bücher, aber auch Zeitschriften, Flugblätter, Reklame) unter reger Anteilnahme der Bevölkerung schließlich auf Scheiterhaufen verbrannt. Die Bücher bestimmter Autoren, deren Werke vordringlich zu verbrennen waren, wurden zusätzlich noch begleitet durch so genannte Feuersprüche (siehe Kasten Seite 21). Der Abend wurde allerorts mit dem Absingen von Deutschland- und Horst-Wessel-Lied abgeschlossen.
Auch in Marburg verlief der Abend des 10. Mai 1933 nicht anders. In der Philipps-Universität Marburg, traditionell eine typische Korporationsuni mit durchorganisierter Studierendenschaft, prägten Korporationen das studentische Leben und waren in den studentischen Interessenvertretungen tonangebend. In den Korporationen herrschte eine Ideologie vor, die mit Kernbereichen der nationalsozialistischen übereinstimmt: antisemitisch, antidemokratisch, völkisch nationalistisch. Indiz hierfür ist die Tatsache, dass seit seiner Gründung in Marburg 1926 knapp zwei Drittel der auf den Listen des NSDStB aufgestellten Personen Korporierte waren. In Marburg herrschte eine extreme personelle Übereinstimmung zwischen Korporationen, DSt und NSDStB. Von Korporierten war übrigens auch die nationalistische und antisemitische Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest im Oktober 1817 durchgeführt worden.
Für den Ablauf der „Aktion wider den undeutschen Geist“ hauptverantwortlich war in Marburg dann auch der im Corps Teutonia korporierte Curt Huebner, Führer der Marburger Studentenschaft. Die zwölf Thesen wurden weisungsgemäß am Unigebäude angebracht, des Weiteren erfolgte die Mobilisierung durch die Oberhessische Zeitung, die einzige zu diesem Zeitpunkt noch existierende regionale Zeitung. Eingesammelt wurden die Bücher durch Studierende, HJ und Bürgerschaft vor allem in Privathaushalten, in privaten Leihbüchereien und öffentlichen Volksbüchereien. Die Buchhandlungen hatten die betreffenden Bücher zumeist in vorauseilendem Gehorsam aus ihrem Sortiment genommen.
Am 10. Mai fand dann zunächst ein Fackelzug von der Afföllerstraße zum Kämpfrasen statt, wo der als Referent geladene NSDAP-Kader Stoevesandt den offensichtlichen „Widerwillen der deutschen Jugend gegen alles Fremde“ lobte und eine „Wiedergeburt der deutschen Kultur“ in Aussicht stellte. Vor einem Massenpublikum erfolgte dort dann auch die Verbrennung der Bücher.
Die „Aktion wider den undeutschen Geist“ hatte nicht nur den vordergründigen Effekt der Zensur, der Unterdrückung nicht erwünschter Meinungen und der Kontrolle der Lektüre der Bevölkerung, sondern wirkte auch durch ihre Öffentlichkeitswirksamkeit maßgeblich an der Zerstörung der beruflichen Existenz der betroffenen AutorInnen mit. Sie bildete den Auftakt zur geistigen Verdrängung jeder kritischen Gesinnung aus den öffentlichen Bibliotheken und hatte teil an der Schaffung eines verstärkten Klimas der Repression.
Die Bücherverbrennung begriffen ihre Initiatoren und TeilnehmerInnen als Teil des Kulturkampfs für die Hegemonie des Nationalsozialismus, der dem erfolgreichen politischen Kampf folgen sollte. An die Stelle des „undeutschen“, „zersetzenden“ „Schmutzes“ sollte erbauliche, saubere Nazi-Literatur treten. Bei der Berliner Bücherverbrennung hielt Joseph Goebbels eine Rede, in der er die Auffassung vertrat, durch die Aktion werde symbolisch das notwendige Niederreißen der Unwerte und der Aufbau neuer Werte vorgestellt.
Nach dem Motto „Die deutsche Sprache den Deutschen“ wurde die Bücherverbrennung als Mittel dagegen gesehen, dass „ein (...) fremder Geist sich des deutschen Wortes bedient“. Die Besinnung auf „volkseigene Werte“ war ein maßgebliches Ziel der DSt, ihre Motivation war antisemitisch, anti-aufklärerisch, antiintellektuell, antiliberal und antikommunistisch.
(kg)