Folterstaat Deutschland?

Über Tabubrüche und Nebelkerzen

Die Aufregung ist bereits wieder ein wenig abgeflaut. Als vor einigen Monaten bekannt wurde, dass im Fall eines entführten Frankfurter Millionärssohns der mutmaßliche Täter mit der Androhung von Folter zu Geständnis und Hinweisen über den Fundort der Leiche des inzwischen ermordeten Jungen gezwungen wurde, debattierten JuristInnen, Politiker­Innen und sonstige Öffentlichkeit über die Rechtmäßigkeit des Vorgehens des zuständigen Vize-Polizeichefs Daschner. Dieser bekräftigte in der Debatte, er hätte seine Drohung auch umgesetzt, ein speziell geschulter (sic!) Beamter habe bereits bereit gestanden, um Körperteile zu dehnen und zu quetschen.

Früh schaltete sich auch der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds Mackenroth ein. Er sprach davon, dass Androhung und Anwendung von Folter in bestimmten Situationen „legal“ seien. Nicht nur aus dem konservativen Lager kam Unterstützung für Daschner. Auch Bundesjustizministerin Zypries redete vom „rechtfertigenden Notstand“, in dem sich die Frankfurter Polizei befunden habe.

Bevölkerung für Folter

Ein großer Teil der politischen Öffentlichkeit gab sich jedoch ablehnend. Vielfach wurde darauf verwiesen, dass das Folterverbot im Grundgesetz auch als Absage an die Methoden des NS aufgenommen wurde, dass humane Absichten und Staatsziele sich nicht mit inhumanen Praktiken erreichen ließen und dass Folter nicht „rechtsstaatlich“ sei.

Ganz anders die breite Masse der Bevölkerung: Nach Bekanntwerden des Frankfurter Falles gaben 63% der Befragten in einer Forsa-Umfrage an, Daschner solle nicht bestraft werden. In weiteren Umfragen schlossen sich jeweils Mehrheiten der Meinung an, Folter sei gerechtfertigt, um bestimmte Verbrechen zu verhindern oder aufzuklären.

Instrumentalisierung des Volkszorns

Das bringt uns zurück zur Argumentation der Folterbefürworter­Innen in Politik und Justiz. Der „Notstand“, von dem Zypries und andere sprachen, also eine außergewöhnliche Situation, in der andere Regeln gelten (müssen), rechtfertigt die Abkehr vom Artikel eins des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“), um ein „höheres Rechtsgut“ zu schützen. Die Taten, die zur Legitimation von zunehmender Repression und Willkür dienen, sind stets die gleichen. Wichtig ist, dass sie die Bevölkerung möglichst stark empören und sich möglichst viele selbst als Opfer sehen können. Dann wird niemand etwas gegen eine Verschärfung haben. Dass die neuen Regelungen dann in allen Bereichen angewandt werden, kriegt nach Abflauen der jeweiligen Debatte schon kaum jemand mehr mit. Besonders gern nach Sexualstraftaten gegen Kinder wird der kochende Volkszorn instrumentalisiert, um Massen-Gentests, stärkere Überwachung oder eben Folter als legitim zu verkaufen. In den oben genannten Umfragen wurde auch jeweils nach „Terroranschlägen“ gefragt. Auch zu ihrer Verhinderung befürwortete eine Mehrheit der Bevölkerung den Einsatz von Folter.

Nebelkerzen: Folter as usual

Diese Debatten wurden – jetzt redet niemand mehr darüber – mit einiger Vehemenz geführt. Sogar der Europarat sah sich genötigt, das Frankfurter Vorgehen zu kritisieren und an die Europäische Menschenrechtskonvention zu erinnern. Doch der Tabubruch ist vor allem ein medial inszenierter. Erstmals seit langer Zeit brüstet sich ein verantwortlicher Polizist mit seiner Folterdrohung und verlangt die Unterstützung der Öffentlichkeit. Ein Unrechtsbewusstsein ist nicht vorhanden. Gleichzeitig wird in der Debatte der Eindruck vermittelt, mit den „geeigneten Methoden“ sei jedes Verbrechen zu verhindern, eine Vorstellung, die selbstverständlich Blödsinn ist.

Bereits jetzt haben Polizei und v.a. Geheimdienste im Zuge der „Anti-Terror“-Gesetzgebung Befugnisse erhalten, massenhaft zu bespitzeln und zu überwachen. In deutschen Polizeistuben fliegen tagtäglich die Fäuste, vorzugsweise gegen MigrantInnen und Linke. Wenn Menschen in Polizeigewahrsam (oder z.B. bei einer Abschiebung) sterben, kann niemals eine Täterin oder ein Täter (i.d.R. schlagen sie jedoch in Rudeln) ermittelt werden.

Gefoltert wurde in Deutschland auch in den siebziger Jahren. Isolationshaft für die politischen Gefangenen, Erschießungen „auf der Flucht“ und die Überlegung der SPD-FDP-Regierung, nach der Entführung von Schleyer die inhaftierten RAF-Mitglieder standrechtlich zu erschießen, zeigen, wie ernst dieser Staat rechtliche Beschränkungen seines Gewaltmonopols nimmt. Neu ist jetzt die drohende Ausweitung auf die gesamte Breite von Vergehen. Was spricht dagegen, einer Bankräuberin den Arm ein wenig zu überdrehen, um das Geldversteck zu erfahren? Oder leichte Fingerquetschungen an Junkies, die trotz Warnung Stadtviertel betreten, in die sie nicht gehen sollen? Der Polizeiapparat erführe eine Effizienzsteigerung: So schnell wurde noch nie ermittelt.

Die Vermutung, von einer weiteren Aufweichung des Folterverbots wären in starkem Maß auch linke AktivistInnen betroffen, ist nicht unbegründet. Bereits nach Einführung der Gentests zeigte sich, mit welcher Vehemenz dieses neu erlaubte Mittel zur Aufklärung angeblich von „Linken“ verübter Straftaten eingesetzt wurde. Trotzdem sollten Linke sich nicht – wie gelegentlich betrieben – als alleinige Opfer dieses Staates halluzinieren; wehren gegen Repression müssen sie sich allerdings.

(er)

sputnik