Kürzlich sprach Erika Steinbach, CDU-MdB und Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) zum Thema „Warum Deutschland ein Zentrum gegen Vertreibung braucht“ auf einer Veranstaltung der Marburger Burschenschaft Rheinfranken. Deren Zustimmung zu diesem Großprojekt des BdV ist nur ein Hinweis auf die Gemeinsamkeiten von Nationalkonservativen und Rechtsradikalen. Scheinen die Vertriebenenverbände in Form und Denke anachronistisch, besitzen sie doch Aktualität – z.B. zu sehen an der permanenten TV-Präsenz der oben genannten Volksgruppenliebhaberin.
An der Gründung des BdV und damit dessen politischer Ausrichtung waren maßgeblich Nazis beteiligt. So war der erste Präsident des BdV, Hans Krüger, 1923 beteiligt am „Hitlerputsch“, ab 1933 NSDAP-Mitglied, NSDAP- Ortsgruppenleiter und Richter in Chojnice (Polen) und CDU-Mitglied in der BRD. Weitere ehemals bekennende Nationalsozialisten haben Verbandsgründungen vorangetrieben und deren Inhalte maßgeblich mitbestimmt. Auf dieser Grundlage arbeitet der BdV auch heute noch – eine Distanzierung von verbandsinternen Nazigrößen hat nie stattgefunden. Als Hans Krüger 1963 zum „Vertriebenenminister“ ernannt wurde, regte sich ob seiner Nazivergangenheit Protest im Ausland, und er wurde abgesetzt. Nichtsdestotrotz konnte er weiterhin als Abgeordneter der CDU-Bundestagsfraktion arbeiten.
Zentrale Forderung des BdV war stets, die Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 wiederherzustellen. Neben der Zustimmung zur deutschen Germanisierungspolitik im Osten fußt die Forderung nach Revision des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945, in dem u.a. die Ausweisung der Deutschen aus den Ostgebieten von den Alliierten beschlossen wurde, vor allem auf der Nichtanerkennung der damit verbundenen Aneignung des deutschen Privatbesitzes durch die von Deutschen überfallenen Staaten.
Auch nach dem 2+4-Vertrag wollte der BdV seine Ansprüche auf das Staatsterritorium der benachbarten Länder nicht aufgeben. Das Ziel der Grenzrevision wurde zunächst beibehalten.
In Anbetracht der historischen Situation ist nun auch der BdV dazu gekommen, seine offiziellen Verlautbarungen zu modifizieren. Als nach 1989/90 die „demokratische Transformation“ der ehemals staatssozialistischen Länder begann und ein baldiger EU-Beitritt sich abzeichnete, war die aggressive Politik der Vertriebenenverbände nicht mehr vermittelbar und damit politisch wirkungslos. Gefordert wird nun nicht mehr der Boden, der zum Blut gehört, sondern die Wahrung des „kulturellen Erbes“ durch politische Einflussnahme. Ihre Legitimität erhält die Vertriebenenkombo u.a. durch das Bundesvertriebenengesetz, nach dem sich der Status der Vertriebenen vererbt (!). So traurig es sein mag: Sie sterben nicht aus. Allerdings werden die politisch aktiven weniger. Denn zum Engagement als Vertriebene reicht der rechtliche Status nicht aus; die Einzelnen müssen sich auch mit diesem identifizieren, und dazu haben immer weniger Lust. So muss der BdV trotz der vielen Kindeskindeskinder und obwohl er auch „Gesinnungsvertriebene“ aufnimmt zur Kenntnis nehmen, dass er ein überalterter Verein ist. Exilvertretung und selbstgebastelte Ostpreußenpässe sind die Sache der Jugend nicht. Nach wie vor besitzen diese Verbände jedoch großen Einfluss, was nicht zuletzt die Dauerpräsenz von SpitzenpolitikerInnen auf deren alljährlichen Treffen dokumentiert.
Auch die rot-grüne Bundesregierung ist an einem guten Verhältnis zum BdV interessiert. So ist nach der Wahl 1998 sogleich Schily (Schröder war verhindert) beim „Tag der deutschen Heimatvertriebenen“ (1999) aufgetreten und gestand den Vertriebenen ihre Forderung nach „Recht auf Heimat“ zu. Das Potsdamer Abkommen ignorierend bezeichnete er die dort festgeschriebene Umsiedlung von Deutschen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Der BdV wird gesponsert durch die Bundesrepublik. So erhält diese revanchistische Vereinigung jährlich Gelder in Millionenhöhe vom Bundesinnenministerium – die finanziellen Zuwendungen sind auch unter Rot-Grün nicht geringer geworden.
Das Werben um die WählerInnengunst kann hier als Motiv ausgeschlossen werden, denn auch Grünen und SPD wird klar sein, dass sie diese nationalkonservative bis rechtsradikale Klientel nicht für sich gewinnen werden. Anzunehmen ist vielmehr:
1. Der BdV nutzt jeder Bundesregierung, um Machtansprüche gen Osten zu vertreten; territoriale Ansprüche wird keine Regierung mehr erheben, aber zur Erhöhung des kulturellen und ökonomischen Einflusses sind die „Vertriebenen“ ein willkommenes Druckmittel.
2. Vertriebenenverbände engagieren sich für die „Integration“ von SpätaussiedlerInnen und entlasten damit den Staat von einer seiner Aufgaben.
3. Auch zwischen Rot-Grün und den Vertriebenen zeigen sich politische Schnittstellen. So sind gewichtige gemeinsame Projekte die Ethnisierung Europas und das damit verbundene Pochen auf Volksgruppenrechte. Die zur Durchsetzung ihrer Interessen verwandte Menschenrechtsrhetorik ist ihnen gemein.
Im vom BdV initiierten „Zentrum gegen Vertreibung“ spiegelt sich diese Gemeinsamkeit wider. Das Zentrum wird von Bund und Ländern finanziert werden und, wie soll es anders sein, von Deutschen als Opfern handeln. Als „Dokumentations- und Begegnungsstätte“ gibt es sich einen wissenschaftlichen (objektiven) und interaktiven (toleranten) Charakter. Hier soll „ausgehend vom national erfahrbaren Schicksal der deutschen Vertriebenen (der) Blick auch auf das Vertreibungsschicksal anderer Völker“ gelenkt werden. Vertreibung soll hier als „europäische Erfahrung formuliert“ werden und mit den „Nachbarvölkern die gemeinsame Vergangenheit“ aufgearbeitet werden (http://www.bund-der-vertriebenen.de). Die subjektiven Leiden der Einzelnen sollen die Gleichheit aller Opfer jenseits von politischer Realität suggerieren. Dass es keine gemeinsame Vergangenheit im Sinne gemeinsamer („europäischer“) Erfahrung von VorbereiterInnen und Beteiligten der deutschen Okkupationspolitik und deren Opfern gibt, wird nicht nur verschwiegen, sondern es wird das Gegenteil behauptet.
Im „Zentrum gegen Vertreibung“ zeigt sich die veränderte Politik des BdV. Indem Menschenrechte und ein Europa der freien Völker proklamiert werden und nicht mehr aggressive Expansionspolitik gegenüber Polen, Tschechien und Russland, ist es gelungen, Täter-Opfer-Vorstellungen zu verdrehen. So wird z.B. der tschechische Staat heute als doppelter Täter wahrgenommen bzw. verurteilt. Erstens habe er Vertreibung betrieben und zweitens erkenne er diese bis heute nicht als Verbrechen an. Mit dieser Argumentation, die als nachträgliche Absage an das Potsdamer Abkommen gewertet werden muss, wird dann wieder aggressiv gegen die betroffenen Staaten gehetzt, wenn ihnen angedroht wird den EU-Beitritt zu verweigern, sofern sie nicht die Grundlagen ihrer Verfassung änderten. Zwar hat das EU-Parlament mittlerweile die Aufnahme der Bewerberstaaten beschlossen (bei Tschechien mit Gegenstimmen der CSU), mit ähnlichen Angriffen auf die Souveränität der benachbarten Staaten im Osten ist aber weiter zu rechnen.
Das Zentrum ist jedoch nicht nur ein Angriff auf die ehemals von Deutschen besetzten Staaten, sondern ebenfalls einer auf die Überlebenden deutscher Expansionspolitik wenn, wie oben gezeigt, die Gleichsetzung von Opfern und TäterInnen betrieben wird.
So wie die „Vertriebenen“ selbst dient auch dieses Monument deutscher Interessen der Legitimation von Ansprüchen in Osteuropa. Und dass diese Bundesregierung ihre Interessen in ganz Europa mit der Begründung „Recht auf Heimat“ am liebsten mit Waffengewalt durchsetzen möchte, ist spätestens seit dem Krieg gegen Jugoslawien kein Geheimnis mehr.
(fp)