Exilpolitik = Terrorismus = Abschiebegrund

Der neue §129b erleichtert Abschiebungen von linken MigrantInnen

VerfassungsschützerInnen haben es nicht immer leicht: Schließlich müssen sie, um gegen die ›Feinde der Freiheit‹ mit den Mitteln des Rechtsstaates vorgehen zu können, deren extremistische Gesinnung nachweisen und auch konkrete Hinweise auf terroristische Aktivitäten liefern können. Doch damit dürfte bald Schluss sein: Regierung und Opposition wollen zukünftig auf Verdacht abschieben.

Zum aktuellen Anlass für die geplanten Verschärfungen werden die Anschläge vom 11.3.2004 in Madrid genommen. Obwohl in Deutschland wegen Hitler- und Schröder-Bonus Anschläge von AntisemitInnen und IslamistInnen in der Dimension der Anschläge von Istanbul oder Madrid sicher weniger wahrscheinlich sind, wird eine entsprechende Gefahrenlage behauptet, um lang geplante Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ähnliches geschah bereits nach dem 11.9.2001, als die deutsche Reaktion die Sicherheitspakete waren.

Dass eine Abschiebung auf Verdacht - also eine Verurteilung auf Verdacht - mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar ist, liegt auf der Hand. Es geht hier aber um das subjektive Sicher­heitsgefühl der Bürger­In­nen. Und diese fühlen sich angeblich sicherer, wenn ›mutmaßliche Terroristen‹ abgeschoben werden.

Auch wenn sich die momentanen Diskussionen auf IslamistInnen beziehen, muss der Linken klar sein, dass sich die Verschärfungen bald gegen sie richten werden. Deshalb soll im Folgenden ein Blick auf den §129b StGB, insbesondere die Folgen für Exilpolitik und mögliche Abschiebungen im Falle einer ›Gefährdung der inneren Sicherheit‹ oder der Interessen der BRD geworfen werden.

§129b und EU-Terrorliste

Internationale Solidarität war den Regierenden schon immer ein Dorn im Auge. So wurden 1872 die SPD-Führer August Bebel und Wilhelm Liebknecht zu Festungshaft verurteilt, weil sie den Krieg gegen Frankreich verurteilt und öffentlich im Parlament zur Solidarität mit der Pariser Kommune aufgerufen hatten.

Nun gibt es mit der Einführung des §129b allerdings einen Paragraphen, der ausschließlich zur Verfolgung der internationalen Solidarität geschaffen wurde. Nach §129b werden nun Vereinigungen, die lediglich im Ausland bestehen, Ziel staatlicher Repression. Es handelt sich bei dem Paragraphen um eine Erweiterung der §§129 (kriminelle Vereinigung) und 129a (terroristische Vereinigung) im Strafgesetzbuch. Bestraft wird nach diesen Paragraphen die Gründung, die Mitgliedschaft, das Unterstützen oder Werben für eine kriminelle oder terroristische Vereinigung. Rein theoretisch könnten in Zukunft Unterschriftensammlungen gegen das PKK-Verbot oder der Verkauf der ›Resistancia‹ (Zeitung der kolumbianischen Guerrilla FARC) als Unterstützung terroristischer Organisationen gewertet werden. Mit der Einführung des §129b ging die Schaffung der ›Listen terroristischer Personen und Organisationen im Rahmen der EU und VN‹ einher. Die Vereinigungen, die dort zu finden sind, dürften als erste Ziel von Ermittlungen nach §129b sein.

In der ersten Liste vom 27.12.2001 finden sich noch hauptsächlich linke und vormals linke Gruppen, später wurde die Liste dann mit islamistischen Gruppen angereichert. FARC, PKK, DHKP-C, griechische Gruppen wie die GRAPO, der stalinistische Leuchtende Pfad aus Peru und die baskische ETA sind hier z.B. zu finden. Natürlich betreiben einige dieser Gruppierungen keine emanzipatorische Politik (mehr), doch es muss aus linker Perspektive analysiert werden wie über den Vorwurf ›Terrorismus‹ auch andere kriminalisiert werden.

Ein Blick auf die ETA kann hier hilfreich sein. Zu dieser soll laut EU auch die Partei Batasuna gehören. Und der spanische Staat versucht sogar den unter baskischen Jugendlichen äußerst beliebten ›kale borroka‹ (dt.: Straßenkämpfen; jährlich gibt es bei diesen Riots, die sich meist gegen die Polizei und staatliche Einrichtungen richten, mehrere Millionen Sachschaden) in die Nähe der ETA zu rücken. Und laut dem ›Gemeinsamen Standpunkt‹ des Rats vom 27.12.2001 lässt sich dies auch begründen. Dort wird in Artikel 1(2) festgehalten, dass auch Personen, die auf Weisung einer Organisation handeln, nunmehr als TerroristInnen gelten. Artikel 1(3)d) führt weiter aus, dass auch die Zerstörungen von Infrastruktur terroristische Akte sind. Wenn nun der spanische Staat den entsprechenden Jugendlichen und der ETA gleiche Motive und Ziele (unabhängiges Baskenland, Sozialismus, Abzug der Polizei), unterstellt und behauptet, die Jugendlichen würden im Namen der ETA handeln, ist es nun möglich diese europaweit als TerroristInnen zu verfolgen. Ähnliches wurde auch von der italienischen Regierung nach Genua praktiziert. AktivistInnen aus dem No Global-Spektrum wurden in die Nähe der ›Roten Brigaden‹ gerückt, und es wurden feste Strukturen gesucht, welche planmäßig die Ausschreitungen heraufbeschworen hätten. Und nach dem EU-Gipfel in Thessaloniki saßen mehrere Linke aus ganz Europa im Knast, da sie eine kriminelle Vereinigung gebildet haben sollen.

Das eigentlich Neue an dem §129b ist nicht die mögliche Auslieferung von AktivistInnen an andere Länder, sondern deren extreme Vereinfachung im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit zwischen den Verfolgungsbehörden seit dem 11.9.2001. Länder wie Spanien, deren Folterpraxis international bekannt ist, können nun auf den Kampf gegen den internationalen Terrorismus verweisen, um unbequeme Oppositionelle ausgeliefert zu bekommen. Der Sänger der spanischen Hardcoreband ›KOP‹ wurde deshalb von Holland an Spanien ausgeliefert, weil er der ETA angeblich Adressen von Nazis gegeben habe. Bekanntestes Beispiel dürften derzeit die Auslieferungsanträge Italiens an Frankreich sein. Italien fordert die Auslieferung mehrerer italienischer Linksradikaler, die in den 70er Jahren am bewaffneten Kampf beteiligt gewesen seien sollen und seit über 20 Jahren in Frankreich leben. Von den früheren sozialistischen Regierungen Frankreichs erhielten sie Asyl, da ihre Prozesse als für eine Demokratie unwürdig angesehen wurden und die Konstrukte einfach zu absurd waren (So sollte es möglich gewesen sein, gleichzeitig im Knast zu sitzen und Anschläge durchzuführen). Politisches Asyl wird somit über die Hintertür ausgehebelt.

Gleiches könnte auf viele KurdInnen zukommen, die in der BRD leben - schließlich wurden sie in der Türkei oftmals wegen Unterstützung der PKK verfolgt. Zwar hat die PKK mittlerweile die Waffen niedergelegt, bemüht sich um eine politische Lösung des Konflikts, strebt nur noch Autonomierechte und keinen unabhängigen und sozialistischen Staat mehr an, doch der türkische Staat will mit aller Macht an seiner Politik der Vernichtung der kurdischen Bewegung festhalten.

Ermittlungsparagraph

Nicht vergessen werden darf, dass der §129a ein Ermittlungsparagraph ist. In lediglich drei Prozent der Ermittlungsverfahren kam es zu Verurteilungen. Aber darum geht es eben nicht. Der Jurist Rolf Gössner hat die Funktion so zusammengefasst: "Für die Ermittler ist es…weniger entscheidend, ob das jeweilige Verfahren überhaupt gerichtlich eröffnet wird und dann auch mit einer Verurteilung endet; von wesentlich größerer Bedeutung ist für sie das Ermitteln selbst. Mit dem über §129a als Kristallisationskern aktivierten, komplexen Sonderrechtssystem verfügen sie über ein praktikableres Instrumentarium, um in die an­visierten, schwer erfassbaren Szenen einzubrechen, über den Einzelfall hinaus Kommunikationsstrukturen knacken, Daten erheben und Soziogramme des Widerstands erstellen zu können, die nicht nur repressiv, sondern vor allem präventiv und operativ genutzt werden können. Verunsicherung der Szene, Entsolidarisierung und Abschreckung sind zwangsläufige Folgeerscheinungen dieser Kriminalisierungsstrategie per 129a-Sonderrecht". Und genau dies dürfte auch das Ziel des §129b sein.

Weitere Verschärfung des Aufenthaltsrechts

Wenn mensch sich vor dem Hintergrund des Verhältnisses von drei Verurteilungen zu 97 Freisprüchen bzw. Verfahren ohne Anklageerhebung die Forderungen der Abschiebungen auf Verdacht anschaut, wird klar, wie viele Menschen selbst nach geltendem Recht unschuldig abgeschoben werden würden. Schon heute sind die Möglichkeiten für Menschen ohne deutschen Pass in punkto politischer Aktivität gegenüber Menschen mit deutschem Pass stark eingeschränkt. ›Deutsche‹ können nicht abgeschoben werden, wenn sie zu mehrjährigen Haftstrafen beispielsweise in Folge von ›schwerem Landfriedensbruch in Verbindung mit Körperverletzung‹ (ein Flaschenwurf auf einer Demo reicht hierfür schon aus) verurteilt werden. Eine Bestrafung für Taten, die eine Person selbst nicht ausgeführt hat, ist ebenso jetzt schon mit dem §129a möglich. Die reine Mitgliedschaft in einer Gruppe mit mehr als zwei Mitgliedern reicht aus, um für die Handlungen anderer bestraft zu werden. Hier kennt der Rechtsstaat keinen individuellen Tatnachweis und auch kein "Im Zweifel für den Angeklagten". Welche Vereinigungen auf der Terrorliste landen, hängt allein von außenpolitischen Erwägungen der BRD und der EU ab. Die UCK wird sich wohl nie auf der EU-Terrorliste finden oder mit Repressionen durch die BRD-Behörden zu rechnen haben. Iranische Oppositionsbewegungen könnten dies schon leichter schaffen, wenn die BRD weiter auf Dialog mit den Mullahs setzt und diesen Prozess durch linke Bewegungen in Gefahr sieht. Doch die genaue Ausgestaltungen der Liste kann mensch aber getrost den StrategInnen in den zuständigen Behörden überlassen. Linke sollten vielmehr die ersatzlose Streichung der Liste fordern.

Selbst wenn Abschiebungen auf Verdacht noch verhindert werden, sind andere Verschärfungen angedacht bzw. schon umgesetzt. Anforderungen an Flüchtlinge sich zum Grundgesetz zu bekennen, wenn sie hier bleiben wollen, oder die Abschaffung der Anerkennung von ›Nachfluchtgründen‹ sind weitere Schritte zur Mundtotmachung von Nicht-Deutschen. Gerade Nachfluchtgründe, also das politische Engagement gegen die Regierung im Herkunftsland von der BRD aus, schützten bisher Menschen, denen ein Engagement im Herkunftsland nicht möglich war, vor Abschiebungen in Länder, die exilpolitische Aktivitäten mit Mord und Folter honorieren.

Equal rights!

Die radikale Linke muss dem Abbau von Rechten - und zwar dem Abbau von Rechten egal ob linker oder islamistischer MigrantInnen - gemeinsam mit BündnispartnerInnen wie Flüchtlingsorganisationen entgegentreten. Eine Anrufung des Staates für ein ›antifaschistisches Asylrecht‹ (MLPD) oder die Forderung der Abschiebung von schlagenden, migrantischen Ehemännern (z.B. Frigga Haug) sollte sich von selbst verbieten.

(fc)

sputnik