Anti-Terror-Kampf unterm Kruzifix

Kopftuch in aller Munde

Die dienstrechtliche Auseinandersetzung zwischen einer angehenden Lehrerin und dem baden-württembergischen Kultusministerium über das Tragen eines Kopftuchs während des Unterrichts ist seit einigen Monaten in aller Munde. Talkshows, Stamm- oder Runde Tische, Leitartikel, Mensagespräche – Fereshta Ludin hätte im Moment gute Chancen, zur bekanntesten Deutschen gewählt zu werden.

Intoleranz ist geschäftsschädigend

Dass sich hitzige Debatten am Kopftuch entzünden, ist indes nicht neu. So schlug beispielsweise im Januar 2002 im oberhessischen Biedenkopf ein Kopftuch-Streit (nachzulesen im ›Hinterländer Anzeiger‹ ab 18.1.2002) hohe Wellen:

Ein »gut bürgerlicher Gastronom« hatte sich geweigert, in seinem Restaurant zwei Schülerinnen zu bedienen, weil eine von ihnen ein Kopftuch trug. Diese machte den Fall öffentlich und erstattete Anzeige; LehrerInnen und MitschülerInnen unterstützten sie. Der Sekretär des türkisch-isla­mischen Arbeiter- und Kulturvereins versuchte vergeblich zu vermitteln. Die im Biedenkopfer Parlament vertretenen Parteien (inklusive ›Republikaner‹) zogen es vor, sich mit Hinweis auf die Gefahr für das untadelige touristische Image Biedenkopfs vom Verhalten des Wirts zu distanzieren. Dieser erklärte: »Ich mag keine Kopftücher. Wenn ich mich in fremden Ländern aufhalte, muss ich mich auch an die Spielregeln halten.«

Für diese Aussagen allein hätte er in der Bevölkerung Biedenkopfs viel Zustimmung erhalten – jedoch nicht in diesem Zusammenhang. Sein ›Fehler‹ war offensichtlich, dass er die Schülerin nicht etwa bei ihrer Bewerbung für einen Ferienjob diskriminiert, ihr politische Partizipation verweigert oder sie einfach öffentlich auf der Straße beschimpft hatte. Nein, er hatte ihr den privaten Konsum einer Tasse heißer Schokolade verweigert – und damit nicht nur gegen kaufmännische Vernunft, sondern auch gegen ein kapitalistisches Grundrecht verstoßen: Das unveräußerliche Menschenrecht auf Warenkonsum, das allen Menschen zukommt, sofern sie über genügend Geld verfügen. Dabei erwies der Gastronom auch der nationalen Sache, der er zu dienen glaubte, einen Bärendienst: Eine kulturalistische oder rassistische Einstellung wird (national)ökonomisch kontraproduktiv, wenn KundInnen abgewiesen und potentielle andere abgeschreckt werden. Beim Verkaufen ist Intoleranz geschäftsschädigend.

… bis zum Beweis des Gegenteils

So ist auch im Fall von Fereshta Ludin unstrittig, dass sie – mit oder ohne Kopftuch – das Recht zum Konsum einer Tasse Trinkschokolade besitzt. Strittig ist hingegen nach wie vor, ob sie auch das Recht hat, während einer Tätigkeit als Lehrerin an einer staatlichen Schule ein Kopftuch zu tragen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit knapper Mehrheit beschlossen: Sie hat das Recht dazu, solange es ihr die einzelnen Bundesländer nicht durch entsprechende Gesetze nehmen.

Daraufhin machte sich beispielsweise die hessische CDU-Landtagsfraktion sofort daran, ein »Gesetz zum Schutz der Neutralität des Staates« vorzulegen, mit dem nicht nur Lehrerinnen, sondern allen Beamtinnen das Tragen des Kopftuches im Dienst verboten werden soll. Die flankierend dazu ausgegebene Parole »Freiheit statt Kopftuch« rückt das Textil nicht nur ziemlich unbegründet in die Nähe des Sozialismus. Sie scheint auch darauf hinzudeuten, dass die CDU – und nicht nur sie – tatsächlich durch das Tragen eines Kopftuches das höchste bürgerliche Gut, die »Freiheit«, gefährdet sieht. Wie sollte das möglich sein und was ist mit »Neutralität« gemeint?

In Verbindung mit Staat und Schule mögen Begriffe wie »Neutralitätspflicht« oder auch »Überwältigungsverbot« zunächst überraschen. Rühmen doch neben Regierungen und Schulbehörden nicht zuletzt die Schulen selbst ihre entscheidende Rolle bei der Legitimation sozialer Segregation und ihrer praktischen Umsetzung, bei der Disziplinierung und Konditionierung der SchülerInnen für die Formen kapitalistischer Arbeit, bei ihrer Gewöhnung an die Konkurrenz um knappe Güter, an bürgerliche Rechtsgrundsätze und an das Leben als StaatsbürgerIn, bei ihrer Anpassung an den Bedarf der Volkswirtschaft und der Entwicklung einer nationalen Identifikation. Mit »Neutralitätspflicht« kann also in diesem Zusammenhang nur gemeint sein, dass die LehrerInnen verpflichtet werden, ihre staatlichen Aufgaben »neutral« – sprich umstandslos – zu erfüllen. Da dies erstens ziemlich viel verlangt und zweitens nicht permanent kontrollierbar ist, begnügt sich der Staat meistens damit, LehrerInnen zu Beginn ihrer Tätigkeit eine entsprechende Erklärung oder einen Eid abzunehmen. Solange den Schulbehörden keine Informationen über konkrete Pflichtverletzungen einer LehrerIn vorliegen, gehen diese wohlwollend von der »Neutralität« der Lehrperson aus.

Genau dieses prinzipielle Wohlwollen bringt die hessische Landesregierung Lehrerinnen, die während des Unterrichts ein Kopftuch tragen wollen, nicht entgegen. Im Gegenteil – sie hegt einen prinzipiellen Verdacht: Wenn sich eine Lehrerin schon weigert, »neutral« die staatliche Kleiderordnung zu akzeptieren, dann kann es mit ihrer Bereitschaft zur Erfüllung ihrer staatlichen Schulpflichten insgesamt nicht weit her sein. Und da sich diese grundsätzliche Befürchtung auch durch Einzelfallprüfung und -überwachung nicht vollständig ausräumen lässt, wird eine solche Lehrerin zur Sicherheit gar nicht erst in den Schuldienst aufgenommen. Aber warum ist die Kleiderordnung gerade in diesem Fall so wichtig, während es den Behörden sonst ziemlich schnuppe ist, ob eine Lehrkraft mit Gamsbart und Lederhosen, mit Kreuz und Schwesternhaube oder mit Taucherbrille und Schnorchel unterrichtet, solange ihr keine Beschwerden aufgebrachter Eltern vorliegen?

Weil das dem Tragen des Kopftuches zugeschriebene Bekenntnis zum islamischen Glauben für den Staat einen konkreten Anfangsverdacht darstellt. Verdächtig daran ist aber offenbar nicht die Tatsache, dass gläubige Muslime und Muslimas eine fiktive Instanz verehren, in deren Namen sie Organisationen gründen, der sie größtmögliche Macht, Autorität und Kompetenz zuschreiben und nach deren Regeln zu richten sie sich zur Aufgabe gemacht haben. Denn dies unterscheidet den Islam nicht von anderen Religionen. Zum Problem wird das Glauben an Allah in den Augen staatlicher Instanzen erst durch den »fundamentalistischen und politischen Charakter« des Islams. Dabei scheinen dies doch selbstverständliche Eigenschaften eines jeden religiösen Glaubens zu sein: Handeln jene, die mit Leib und Seele einen Gott anbeten und feierlich die Einhaltung der von ihm erlassenen Gesetze geloben, nicht immer politisch, ist ihr Glauben nicht immer von einer grundsätzlichen Art? Hier hilft ein Blick auf die vielbeschworene »christlich-abendländische Tradition« weiter.

Glauben als Privatsache?

In ihren Anfängen stand die christliche Kirche bei den weltlichen Machthabern ebenfalls wegen ihres »fundamentalistischen und politischen Charakters« auf dem Index. Im Laufe einiger Jahrhunderte brachte sie es bis zur entscheidenden politischen Macht in Europa, errichtete nebenbei in Rom einen bis heute existenten Gottesstaat. Einigen bürgerlichen Staaten gelang es schließlich, die christlichen Organisationen ihrer Herrschaft zu unterwerfen und eine erfolgreiche Symbiose zwischen beiden zu begründen: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gott gehört.« Fortan förderten diese Staaten die christliche Religion als eine in aller Regel unpolitische Privatangelegenheit, bei der sich die Gläubigen vor allem mit Gott und weniger mit der Welt beschäftigten. Dafür unterstützten die christlichen Autoritäten die staatliche Herrschaft so gut sie konnten, indem sie Arbeitszwang, nationale Formierung, Kriege usw. legitimierten. Je weniger ein bürgerlicher Staat dieser kirchlichen Unterstützung bedurfte, desto »toleranter« wurde er in Bezug auf die religiösen Bekenntnisse seiner DienerInnen und BürgerInnen: Diese schienen ihm so harm- und folgenlose Freizeitvergnügungen zu sein und seine – zum Teil christlich geprägten – Grundwerte so wenig zu gefährden, dass es ihm ziemlich egal war, ob jemand den heiligen Geist, den Waldschrat oder gar den Teufel höchstpersönlich anbetete; er beschloss sogar, dass ihn das alles überhaupt nichts anginge.

Genauso hat es der hiesige bürgerliche Staat auch mit dem Islam lange gehalten: Sollen sie ihren Kindern in den Koranschulen doch den Koran vor- und rückwärts herbeten! Solange sich nicht renitente BürgerInnen oder die christlichen Kirchen am Bau einer Moschee oder dem morgendlichen Weckruf eines Predigers störten – who cared?

Diese Haltung hat sich in jüngster Vergangenheit ziemlich gründlich geändert. Den staatlichen Instanzen – und nicht nur denen – ist mittlerweile aufgefallen, dass eine Menge Menschen auf der Welt ihren Glauben an Allah gar nicht als Privatsache auffassen, sondern als eine politisch-öffentliche Angelegenheit, dass sich nicht wenige islamische Prediger und religiöse Führer für die Gewinnung politischer und staatlicher Macht interessieren, dass manche von ihnen dabei sogar ziemlich brutale Mittel wie das wahllose und öffentlichkeitswirksame Töten von Menschen anwenden.

Weil die bürgerlichen Staaten zur Zeit keine größere Bedrohung als diese islamische für sich ausmachen können, hat die Angelegenheit hohe Priorität: Alle, die islamisch an Gott glauben, haben jetzt prinzipiell als gefährlich zu gelten. Wollen sie das Gegenteil beweisen, so müssen sie glaubhaft machen, dass sie ihre islamische Religion nach christlichem Muster als reines Freizeitvergnügen betreiben und sich in jedem Zweifelsfall nicht ihren religiösen Regeln, sondern der bürgerlichen Herrschaft unterwerfen. Und wenn ein Staat eben das Tragen des Kopftuches genau als einen solchen Zweifelsfall definiert, macht sich eine Lehrerin durch das Beharren auf dem Kopftuch in seinen Augen nur umso verdächtiger und beweist ihm damit die Berechtigung seines Verbotes.

Die öffentliche Debatte

In einem ordentlichen bürgerlichen Staat gibt es aber auch eine kritische Öffentlichkeit, ohne die aus einem Kopftuchgesetz ja keine Kopftuchdiskussion würde. Und die stellt sich in diesem Zusammenhang mal wieder ihre Lieblingsfrage: Ist das eigentlich gerecht?

Das Schöne an dieser Frage ist, dass sie allen Beteiligten die Möglichkeit bietet, ihre jeweiligen Beweggründe – also ihre Interessen, Strategien und Überzeugungen – in den wohlfeilen Mantel der »Gerechtigkeit« zu kleiden. So bleiben die Beweggründe geschützt und die Diskussion entzündet sich leidenschaftlich an der Frage, wem der Mantel besser steht – und das ist dann eine Frage des politischen Geschmacks. Und über das, was die anderen »drunter« tragen, lässt sich bei Bedarf genüsslich spekulieren.

Allgemein akzeptiertes Sinnbild für die ins Felde geführte Gerechtigkeit ist die fein austarierte Waage der Justitia. Nur die Inhalte, die in die beiden Schalen gelegt und gegeneinander aufgewogen werden, sind völlig beliebig. So neigt sich die Waage objektiv und unbestechlich mal zur einen, mal zur anderen Seite. Die einen haben herausgefunden, dass Lehrerinnen sogar in der Türkei(!) das Kopftuch­tragen untersagt sei – dann ist es ja mehr als gerechtfertigt, denen das auch in Deutschland zu verbieten. Die anderen finden ungerecht, dass sich niemand an der traditionellen Kopftuchtracht älterer einheimischer Frauen störe, sondern bloß an der von jungen Im­mi­gran­tin­nen. Die nächsten sehen nicht ein, dass die Muslime und Muslimas in Deutschland Moscheen betreiben dürften, obwohl doch christlichen MissionarInnen in Afghanistan das Leben bekanntlich so schwer gemacht werde. Und wieder andere finden das, was sie über das Leben von Frauen im Iran wissen, gar nicht mehr so schlimm, wenn sie die mit den Frauen im Playboy vergleichen – oder umgekehrt. Über das alles lässt sich natürlich trefflich streiten – nur die Ursachen der Verhältnisse, die Interessen der Handelnden und die Wege zur emanzipatorischen Veränderung bleiben dabei außen vor.

(cat)

sputnik